Riskoanalysen für eine bessere Klimafolgenanpassung
Die Reis- und Garnelenproduktion im Mekong-Delta Vietnams ist durch das Eindringen von Salzwasser als Folge des Klimawandels gefährdet. Sperrwerke sollen dies verhindern. Die IKI unterstützte den Bau des größten Sperrwerks mit Analyse der Klimarisiken.
Am Ende eines heißen Dezembertages steht Bauer Nguyễn Thành Đồng mit seiner Familie vor seinem Haus und blickt über seine Felder. Auf weniger als drei Fußballfeldern Fläche wachsen dort gelb verfärbte Reishalme nicht einmal knietief im Wasser.
Mit drei Generationen unter einem Dach wohnt Đồng im Bezirk An Biên der Provinz Kien Giang im südwestlichen Teil des Mekong-Deltas. Die zehnköpfige Familie lebt von der Landwirtschaft und muss mit umgerechnet ca. 2.200 Euro im Jahr auskommen – ein Durchschnittseinkommen für die Gegend.
Reis und Garnelen als wirtschaftliches Rückgrat
Das Mekong-Delta ist mit seiner Fläche von 39.000 Quadratkilometern so groß wie die Niederlande. Mehr als 18 Millionen Menschen leben in diesem Gebiet. Ähnlich wie die Niederlande liegen weite Teile des Deltas nur wenige Zentimeter oberhalb, einige Teile auch unterhalb des Meeresspiegels. Im Mekong-Delta zu wohnen, bedeutet deshalb ein „Leben mit dem Wasser“: mit Wassermangel, aber auch mit Sturmfluten entlang der westlichen und östlichen Küstenlinie.
Das wirtschaftliche Rückgrat der Region ist die Produktion von Lebensmitteln. Die 13 Provinzen des Mekong-Deltas versorgen weltweit mehrere Millionen Menschen mit Reis und gelten als Reiskammer Vietnams. Aber auch für Garnelenzucht bietet die Region ideale Bedingungen. Die Tiere leben in Brackwasser, einer Mischung aus Salz- und Süßwasser, die im Mekong-Delta nicht nur im Küstenvor- und -hinterland vorherrscht, sondern auch entlang der Kanalsysteme, die in der Zeit der französischen Kolonialherrschaft angelegt wurden.
Bauer Đồng in der Provinz Kien Giang stellte in den letzten Jahren die Anbaumethoden um. Zur Regenzeit baut er weiterhin Reis an, in der Trockenzeit flutet er nun seine Felder mit dem Brackwasser der Kanäle, um Garnelen zu züchten. Diese bringen höhere Einnahmen als der Getreideanbau.
Vielfältige Folgen des Klimawandels im Mekong-Delta
Doch wie alle Bäuerinnen und Bauern der Provinz leidet er unter den Folgen des Klimawandels. Häufig auftretende Trockenheit, auch in Regenzeiten, zählt zu den typischen Extremwetterereignissen, die es in der Geschichte Vietnams immer wieder gegeben hat. Doch die Dürren sind in den letzten Jahren nicht nur häufiger geworden, sondern sie nehmen auch in ihrer Intensität zu. „2015, 2016, 2019 und 2020 herrschten große Dürren. In allen Jahren hatten wir Ernteausfälle, aber 2016 war am schlimmsten - wir haben fast die gesamte Ernte verloren“, sagt Bauer Đồng.
Denn im Mekong-Delta bedeutet eine Dürre nicht nur weniger direkten Niederschlag auf den Feldern. Auch die Pegelstände einiger Kanäle sinken dramatisch ab, da der Mekong diese nicht mehr mit genügend Süßwasser versorgt. Die Dürrefolgen des Klimawandels werden zudem durch weitere Faktoren verstärkt: Der Betrieb von großen Staudämmen in den anderen Anrainerstaaten am Oberlauf des Mekong verschärft die Trockenheit im Delta, weil weniger Wasser die Gebiete erreicht. Als Folge dieses zusätzlichen Mangels nutzen Bäuerinnen und Bauern im Mekong-Delta vermehrt Grundwasser zur Bewässerung ihrer Reisfelder, was wiederum zu Trinkwassermangel und zum Absinken des Bodens in einigen Bezirken führt.
Doch nicht nur die ausbleibenden Niederschläge sind ein Problem. Die Erwärmung der Meere führt zu einem Anstieg des Meeresspiegels und verursacht gleichzeitig Extremwetterereignisse wie Sturmfluten.
Sturmfluten und Dürre haben ein stärkeres Eindringen des Salzwassers, die sogenannte Salzwasserintrusion, zur Folge. Diese bringt die für die Entstehung von Brackwasser notwendige Balance zwischen Süß- und Salzwasser aus dem Gleichgewicht und vernichtet die Lebensgrundlage für die Garnelen. Die Salzwasserintrusion versalzt zudem die Böden, vernichtet Reisernten und gefährdet unterirdische Süßwasservorkommen.
Sperrwerke gegen die Salzwasserintrusion
Um vor Fluten und der wachsenden Gefahr der Salzwasserintrusion zu schützen, verfügt die Provinz Kien Giang über 56 kleine und mittelgroße Sperrwerke, wie man sie auch von der Nordseeküste oder entlang des Rheins kennt. Einige dieser Sperrwerke öffnen und schließen täglich, um den Wasserhaushalt auszugleichen.
Größere Sperrwerke sind nur an wenigen Tagen aktiv, wenn die Kapazitäten der kleineren Werke wegen verstärktem Eindringen von Salzwasser nicht ausreichen. Dazu gehört auch das 2021 fertiggestellte größte Sperrwerks Vietnams, das Cai Lon – Cai Be, das an bis zu 24 Tagen im Jahr geschlossen wird. So schützt es während der Trockenzeit die Garnelenzucht und bei auftretenden Sturmfluten die Reisernten der Bäuerinnen und Bauern.
Die Planung und der Bau von Sperrwerken sind Teil der Anpassungsstrategie der vietnamesischen Regierung. Ähnlich wie in den Niederlanden wird auch in Vietnam kontrovers diskutiert, ob die Kosten der Sperrwerke den Nutzen rechtfertigen – oder ob es nicht sinnvoller wäre, auf Reisanbau, z. B. zu Gunsten von mehr Fischzucht, zu verzichten.
Viele Bäuerinnen und Bauern scheinen jedoch weiterhin beim Anbau von Reis bleiben zu wollen, auch weil in der Vergangenheit viele Fisch- und Garnelenzüchtende an einer Umstellung von Reis auf Aquakultur gescheitert sind. Sie befürworten den Bau von Sperrwerken und damit den Kurs der vietnamesischen Regierung. Reis bleibt daher nach wie vor ein Garant für die Ernährungssicherung Vietnams und ein wichtiges Exportgut.
Klimarisiken in Anpassungsentscheidungen berücksichtigen
Über das von der Internationalen Klimaschutzinitiative (IKI) finanzierte Projekt „Verbesserte Climate Services für Infrastrukturinvestitionen (CSI)“ war auch die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) an der Beratung und Erstellung von Klimarisikoanalysen beteiligt. Das Projekt berät seit 2017 Ministerien, Behörden und Entscheidungstragende in Brasilien, Costa Rica, dem Nilbecken und in Vietnam, damit bedarfsgerechte Klimainformationen und Risikobewertungen (Climate Services) in der Planung von Infrastrukturprojekten verwendet werden.
Für das Sperrwerk Cai Lon – Cai Be erstellte das CSI-Projekt während des Baus und auch nach der Fertigstellung zwischen 2018 und 2021 verschiedene Risikoanalysen. Der Fokus lag auf der Frage, welche negativen Auswirkungen heutige und zukünftige Klimarisiken auf das Bauwerk haben könnten. Dabei ging es konkret um die bauliche Struktur und mögliche grundsätzliche Einschränkungen der Funktionsfähigkeit, die kurz-, mittel-, oder langfristig entstehen könnten. So sollen Schäden durch den Klimawandel vermieden, Kosten minimiert und die Funktionsfähigkeit des Sperrwerks gewährleistet werden.
Mehr Blitzschutz, besserer Beton und andere Beschichtungen der Schleusentore
Dazu wurden unter anderem die vorhandenen Schwellenwerte für die Belastung der geplanten baulichen Komponenten des Sperrwerks unter Hinzunahme der Klimainformationen untersucht und von Ingenieur*innen, Klimawissenschaftler*innen und Berater*innen in verschiedene Risikomatrix-Bewertungen zusammengeführt. Den Berechnungen wurden zwei Klimaszenarien zu Grunde gelegt, die Zunahmen längerer, extremer Trockenperioden und Zunahmen von Flut- und Sturmereignissen mit höheren Risiken des Blitzeinschlags als wahrscheinlich einstufen.
Als Folge der Analyseergebnisse wurde das Design des Bauwerks geändert, um die empfindliche Elektronik vor Blitzeinschlag zu schützen. Hochwertiger Beton sowie Epoxidbeschichtungen sollen die Korrosion der Schiffsschleusen verhindern, auf deren Zustand bei den regelmäßigen Instandhaltungsuntersuchungen auf Anraten des IKI-Projekts besonders geachtet wird. Darüber hinaus wurden Prozessabläufe verändert, damit sie auf den Betrieb während Extremwetterereignisse und Notfallpläne abgestimmt sind.
Zwar waren diese Anpassungen mit Mehrkosten verbunden, jedoch weist eine mit den Analysen verbundene Kosten-Nutzen-Analyse ein positives Verhältnis der Anpassungsmaßnahmen sowohl aus wirtschaftlicher als auch Gemeinwohlsicht auf.
Über das Cai Lon – Cai Be hinaus führte das Projekt auf Basis von aktualisierten und lokal-skalierten Klimainformationen für die Provinz Kien Giang eine weniger detaillierte, sogenannte Screening-Analyse von allen 84 existierenden und geplanten kleinen und mittelgroßen Sperrwerken der Provinz durch. Die Ergebnisse helfen der vietnamesischen Regierung dabei, Prioritäten in der Anpassungsstrategie zu setzen.
Auf diesen ruhen auch die Hoffnungen von Bauer Đồng und seiner Familie. Denn angepasste landwirtschaftliche Produktionsmethoden alleine werden zukünftig nicht reichen, um die Erträge aus Reisanbau und Garnelenzucht sowie die Trinkwasserversorgung in der Provinz Kien Giang im Mekong-Delta zu sichern.
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Kontakt
IKI Office
Zukunft – Umwelt – Gesellschaft (ZUG) gGmbH
Stresemannstraße 69-71
10963 Berlin
PIEVC-Analyseprotokoll
Unterstützt und beraten wurden das Projekt bei den Risikoanalysen vom Deutschen Wetterdienst (DWD) und dem kanadischen Ingenieursverband (Engineers Canada), basierend auf dem aus Kanada stammenden PIEVC-Klimarisikoanalyseprotokoll für Infrastruktur. Die Methode unterstützt Akteur*innen im Bereich Infrastrukturplanung, -bau und -betrieb darin, die Klimarisiken für einzelne Infrastrukturen oder ganze Infrastrukturportfolios zu bewerten. Wie der Name Protokoll suggeriert, beschreibt das PIEVC dabei einen Schritt-für-Schritt- Ansatz, der sich an den Bedürfnissen von Ingenieurinnen und Ingenieuren sowie anderen Akteur*innen in dem Bereich orientiert. Schlussfolgerungen und Empfehlungen aus der Anwendung wiederum bilden die Grundlage für Entscheidungsfindungen in verschiedenen Stadien des Infrastrukturzyklus‘, von Planung bis Betrieb und Wartung.
Interview
Wichtigster Partner des IKI-Globalprojektes in Vietnam ist das Ministerium für Planung und Investitionen (MPI), das größere Investitionen in die Infrastruktur des Landes finanziert und dabei eng mit Fachministerien und Provinzen zusammenarbeitet. Im Interview spricht die stellvertretende Generaldirektorin der Abteilung für Wissenschaft, natürliche Ressourcen und Umwelt, Dr. Nguyen Thi Dieu Trinh, über die Herausforderungen der Anpassung an die Folgen des Klimawandels in Vietnam und wie die Aktivitäten des IKI-Projekts dabei helfen, ihnen zu begegnen.