13.04.2018

Interview: Die Welt retten – ein Bergdorf nach dem anderen

Farmland im Distrikt Ilam in Nepal: Bewirtschaftung im Rahmen des Medicinal & Aromatic Plants Program des TMI; Foto: K. Bhutia
Farmland im Distrikt Ilam in Nepal: Bewirtschaftung im Rahmen des Medicinal & Aromatic Plants Program des TMI; Foto: K. Bhutia

Andrew Taber vom The Mountain Institute spricht im Interview darüber, wie sich Bergregionen an den Klimawandel anpassen.

Dr. Andrew Taber ist Geschäftsführer des The Mountain Institute. Die internationale NRO befasst sich weltweit mit Fragen der Nachhaltigkeit in Bergregionen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Klimawandel. The Mountain Institute führt das von der Internationalen Klimaschutzinitiative (IKI) des Bundesumweltministeriums (BMU) geförderte Projekt „Ausweitung von ökosystembasierter Anpassung in Bergregionen“ durch. Die NRO nutzt das Konzept der ökosystembasierten Anpassung (EbA) dazu, die Resilienz gegenüber dem Klimawandel zu erhöhen, Katastrophenrisiken zu mindern und den Anpassungsprozess in den Bergen zu fördern. Dieser Prozess kommt den Menschen in den Bergregionen unmittelbar zugute, darüber hinaus aber auch der Bevölkerung in den flussabwärts gelegenen Gebieten.

Herr Dr. Taber, Ihr Projekt startete im vergangenen Jahr und baut auf dem IKI-Projekt „Ökosystembasierte Anpassung in Bergökosystemen“ auf. Welche Ziele verfolgt das neue Programm?

Andrew Taber, Geschäftsführer des The Mountain Institute; Foto: PB IKI/ Karin BeeseMit dem neuen Programm können wir unsere ökosystembasierten Anpassungsmaßnahmen vor Ort durch Demonstrationsprojekte nachhaltig verankern und zeigen, wie dieser Ansatz in der Praxis funktionieren kann. Wir wollen Lösungen testen und realisieren, um sie anschließend auf breiter Basis einzuführen und zu replizieren. Dabei werden wir uns auf die ursprünglichen Projektländer Peru, Uganda und Nepal konzentrieren, darüber hinaus aber auch nach Kolumbien, Kenia und Bhutan gehen. Der Schwerpunkt liegt auf der Anwendung und Identifizierung von EbA-Maßnahmen in diesen Ländern. Außerdem wollen wir auf die nationale Politik Einfluss nehmen. Gleichzeitig bringen wir uns in internationale politische Prozesse ein, um Maßnahmen, die sich bewährt haben, weiterzutragen.

Warum konzentrieren Sie sich auf Bergregionen?

Seit der Gründung unserer Organisation im Jahr 1972 ist dies unser Fokus. Bergregionen sind auf nationaler, regionaler und globaler Ebene von außerordentlich großer Bedeutung. Zwischen 60 und 80 % des Süßwassers, das wir täglich benötigen, stammt aus Quellen in den Bergen. Außerdem beherbergen die Bergregionen der Welt etwa ein Viertel der terrestrischen Biodiversität. Gleichzeitig gehören sie zu den am stärksten vom Klimawandel betroffenen Gebieten. Außerdem sagen verschiedene Klimamodelle voraus, dass der relative Temperaturanstieg in höheren Lagen etwa 1,8-mal so hoch ausfallen wird wie im Tiefland. Wenn wir also hier unten einen Anstieg von 2° C haben, müssen wir in den Bergen auf 3.000 bis 4.000 m mit fast 4° C rechnen – mit entsprechend schwerwiegenderen Auswirkungen.

Welchen Gefahren sind die Bergregionen durch den Klimawandel ausgesetzt?

Vor dem Hintergrund des Klimawandels besteht das größte Problem in der massiven Umweltzerstörung und der weit verbreiteten extremen Armut. Jeder dritte Mensch, der heute in einer Bergregion lebt, ist von Ernährungsunsicherheit bedroht – ein Thema, das in der Weltpolitik leider vernachlässigt wird. Bereits jetzt ist zu sehen, dass die Gletscher durch den Klimawandel schnell abschmelzen und dass sich die Schneedecke schneller verändert, als es in vielen Klimamodellen vorausgesagt wird. Darüber hinaus kommt es zu großen Veränderungen bei der Niederschlagsverteilung. Dadurch wird die Wasserversorgung gefährdet, was für die Gemeinden und die Wirtschaft nicht ohne Folgen bleibt, und zwar sowohl in den Bergen als auch im Tiefland.

Aussicht auf dem Weg nach Laguna Mullaca, Cordillera Blanca (Peru); Foto: TMI

Außerdem bestehen in abgelegenen Bergregionen große Probleme im Zusammenhang mit Migration, Armut und fehlenden öffentlichen Dienstleistungen. Aufgrund fehlender wirtschaftlicher Perspektiven wandern vor allem aus den hohen Lagen viele Menschen ab. Gleichzeitig ist aber mit einer verstärkten Zuwanderung von Klimaflüchtlingen zu rechnen, die aus Tieflandgebieten fliehen, die immer häufiger unter extremer Hitze zu leiden haben. Bereits jetzt bestehen in den Bergregionen der Welt zahlreiche ökologische und soziale Herausforderungen, die sich unter dem Einfluss des Klimawandels in Zukunft wahrscheinlich noch verschärfen werden.

Doch wenn Sie sich die internationale Agenda ansehen, werden Sie feststellen, dass der größte Teil der Aufmerksamkeit und politischen Maßnahmen anderen Themen gilt – beispielsweise den marinen Lebensräumen oder der Gefährdung von Inseln durch den steigenden Meeresspiegel. Daneben gibt es aber auch andere Regionen wie Trockengebiete und Bergregionen, die mit gravierenden sozialen und ökologischen Problemen zu kämpfen haben, so dass dort ebenfalls dringender Handlungsbedarf besteht. Wir setzen alles daran, um zu erreichen, dass den Problemen der Bergregionen international mehr Beachtung geschenkt wird, damit diese Regionen und die Menschen, die dort leben, nicht zurückbleiben.

Warum ist es so schwierig zu vermitteln, dass der Anpassungsbedarf in den Bergregionen besonders groß ist?

Ich denke, das ist zum Teil ein Kommunikationsproblem. Berge gelten als Symbol einer ursprünglichen, intakten Natur, die sich nie verändern wird. Doch in Wirklichkeit befinden sich einige der empfindlichsten Ökosysteme der Erde und die am stärksten durch den Klimawandel gefährdeten Gemeinschaften in Bergregionen. In den Bergregionen der Welt hat sich eine erstaunliche kulturelle Vielfalt mit Tausenden von Sprachen, einmaligen Ritualen und Praktiken und großem traditionellen Wissen entwickelt. Wir sind sehr stolz darauf, dass wir bei dem Farming for Biodiversity Contest mit einem der Solution Search Awards ausgezeichnet wurden. Dazu haben wir traditionelle Techniken der Wasserbewirtschaftung wiederbelebt, die von indigenen Hochlandgemeinschaften seit tausend Jahren eingesetzt werden, um das in den Bergen vorhandene Wasser effizient zu nutzen. Dies ist ein hervorragendes Beispiel für ökosystembasierte Anpassung und belegt, wie wertvoll das Wissen von indigenen Gemeinschaften sein kann. Das Projekt wurde durch die Förderung der Bundesregierung möglich, für die wir sehr dankbar sind.

Im Rahmen Ihres Programms suchen Sie also gezielt nach Lösungen, um diese zu verbreiten, und arbeiten außerdem auf politischer Ebene?

Wir versuchen, auf politischer Ebene Aufmerksamkeit zu gewinnen, doch besonders stolz bin ich darauf, dass es uns gelingt, konkrete Lösungen für aktuelle Herausforderungen zu entwickeln. Dazu würde ich gerne ein paar Beispiele bringen, die meiner Ansicht nach alle sehr aufschlussreich sind. Denn in den Bergregionen gibt es nicht nur Fehlentwicklungen, sondern auch vielversprechende Lösungsansätze. Wir sind davon überzeugt, dass es Lösungen für viele Probleme gibt. Die Herausforderungen sind durchaus zu bewältigen – allerdings nur, wenn die Regierungen sie ernst nehmen und anpacken. Wir brauchen in den Bergregionen Investitionen und technische Unterstützung. Die Gemeinden müssen in die Lage versetzt werden, eigenverantwortlich zu handeln, beispielsweise um Probleme im Zusammenhang mit Landbesitz und Landnutzung zu lösen. Wir vom The Mountain Institute wollen vermitteln, dass die Bergregionen der Welt eine Zukunft haben, wenn wir ihre Resilienz stärken.

Vikunjas beim Grasen – im Hintergrund die Anden; Foto: TMI

Können Sie das anhand von praktischen Beispielen erläutern?

Vom Andenhochland aus betrachtet, ist Peru ein Land, in dem 70 % der Bevölkerung in der wüstenhaften Küstenregion lebt, in der fast kein Regen fällt. Die Menschen dort sind auf das Wasser aus den Bergen angewiesen, und diese Wasserversorgung ist durch den Rückzug der Gletscher stark gefährdet. Bei unserer Arbeit vor Ort – nach dem Motto „die Welt retten – ein Bergdorf nach dem anderen“, haben wir festgestellt, dass es sehr effektive Ansätze gibt, um die Versorgungssicherheit für die Menschen in den Bergen und in den tiefer gelegenen Gebieten zu verbessern. Eines der spannendsten und innovativsten Projekte hängt mit dem Vikunja zusammen. Das Vikunja ist die Wildform des Alpakas und stand kurz vor dem Aussterben. Auch als Wildtier kann das Vikunja genutzt werden, nicht etwa indem man es schlachtet, sondern indem man es schert: Die Wolle des Vikunja gehört zu den wertvollsten Naturtextilien der Welt. Ein einziger Schal aus Vikunja-Wolle kostet bis zu 2.000 US-Dollar. Wenn die Tiere geschert werden, ohne zu leiden, ist dies im Sinne der Nachhaltigkeit. Mit der Vikunja-Wolle können die Haushalte ihr Einkommen deutlich verbessern. Außerdem werden so Anreize für den Schutz des alpinen Hochlands gesetzt, denn hier ist der Lebensraum der Vikunjas. Gleichzeitig ist das Hochland von entscheidender Bedeutung für die Wasserversorgung des Tieflands. Zusammen mit einer verbesserten Bewirtschaftung der domestizierten Alpakas sowie der Weideflächen und Feuchtgebiete sehen wir die Möglichkeit, das Einkommen der ärmsten Haushalte in Peru zu verdreifachen. Diese Chancen wollen wir nutzen, beispielsweise indem wir den indigenen Hirten Zugang zu Mikrokrediten verschaffen. Mit dem Geld können sie die Weideflächen verbessern, ökologischer wirtschaften und ihre Produkte besser vermarkten. Dadurch könnte eine wirtschaftliche Dynamik in Gang gesetzt werden, die den Naturschutz voranbringt, die Sicherheit der Wasserversorgung gewährleistet und die Anpassung an den Klimawandel fördert.

Miraflores, Peru: Mitglieder einer Gemeinde beim Transport von Zaunpfählen für die Einzäunung von Weideflächen. Diese wurden durch die Instandsetzung eines alten Wasserkanals wiederhergestellt; Foto: TMI

Ähnliche Chancen sehen wir in dem traditionellen Handel mit Heil- und Gewürzpflanzen im Himalaya. Die wild wachsenden Pflanzen werden schon seit langer Zeit für Ayurveda-Behandlungen und Anwendungen der traditionellen chinesischen Medizin gesammelt. Die herkömmliche Wildernte hat inzwischen aber dazu geführt, dass die Bergwälder degradieren und einige Pflanzenarten gar vom Aussterben bedroht sind. Diese Lebensräume sind ähnlich wie in den Anden entscheidend für eine sichere Wasserversorgung, die Anpassung an den Klimawandel sowie den Erosionsschutz. In Nepal unterstützen wir einheimische Bauern dabei, diese wertvollen Pflanzen anzubauen, so dass auf das Sammeln von Wildpflanzen verzichtet werden kann. Die Bauern können diese Pflanzen auf Terrassenstufen zwischen ihren anderen Kulturen anbauen, so dass kein Platz für den Anbau von traditionellen Nahrungspflanzen verloren geht. Außerdem nutzen die Bauern die Pflanzen zur Wiederherstellung von degradierten Böden. In verschiedenen Bergdörfern arbeiten wir an der Entwicklung des Genossenschaftswesens und dem Aufbau von Kontakten in potenzielle Absatzmärkte. Außerdem schaffen wir Anreize für einen besseren Schutz der Lebensräume in den Bergen. Wir hoffen, dass junge Männer und Frauen eine wirtschaftliche Perspektive in den Bergregionen für sich sehen und nicht abwandern. Außerdem hoffen wir, dass die Jungen, die bleiben, durch ihre wirtschaftliche Tätigkeit zum Schutz der Artenvielfalt, der Wälder und der Wasserversorgung beitragen, auf die so viele Menschen angewiesen sind.

Umsetzen von Heilpflanzensetzlingen in Upper Arun (Nepal); Foto: TMI Bäuerinnen in Ost-Nepal bauen Chiraito auf ihren Terrassen an; Foto: K. Bhutia

Gibt es Bereiche, in denen die Regionen voneinander lernen können?

Ja, auf jeden Fall! Das The Mountain Institute fördert schon seit langem den Austausch von Wissen und Lösungen zwischen den Anden und dem Himalaya sowie anderen Bergregionen. Doch auch mein eigenes Heimatland hat noch viel zu lernen. Wir freuen uns darauf, diese Erfahrungen und Erkenntnisse in die USA mitzunehmen. Damit können wir indianische und andere lokale Gemeinschaften dabei unterstützen, unter den Bedingungen des Klimawandels Schutzgebiete sowie natürliche Ressourcen nachhaltig zu bewirtschaften. Wir können von alten Praktiken und indigenen Völkern viel lernen – beide verdienen mehr Aufmerksamkeit. Wenn wir traditionelles Wissen mit den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen zusammenführen, können wir die Bergregionen der Welt effektiver schützen.

Vikunjas in einem Feuchtgebiet in den peruanischen Anden; Foto: TMI

Vielen Dank für das Interview.

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