Gendergerechtigkeit in der Stadtplanung
Interview mit Deliani Poetriayu Siregar zum Thema Stadtplanung, Gender und soziale Inklusion in Indonesien.
Projekte zum Schutz von Klima und Biodiversität sind erfolgreicher, nachhaltiger und gerechter, wenn konkrete Maßnahmen zur Geschlechtergerechtigkeit in die Ziele und die Umsetzung eingebettet sind. Beim IKI Brown Bag Lunch im Oktober 2022 teilten drei Frauen Erfahrungen dazu aus ihrer täglichen Arbeit. Deliani Poetriayu Siregar war eine von ihnen: Sie ist Senior Associate für Stadtplanung, Gender und soziale Inklusion am Institute for Transportation & Development Policy (ITDP) in Indonesien. ITDP konzentriert sich derzeit im Rahmen eines Projekts der Internationalen Klimaschutzinitiative (IKI) auf die Reduzierung von Emissionen durch Integration und Optimierung öffentlicher Verkehrsmittel in Indonesien.
Wie sind Sie heute Morgen zur Arbeit gekommen?
Ich muss jeden Tag fünf Minuten von meinem Haus zu Fuß gehen, um ein Angkot zu nehmen. Ein Angkot ist ein Kleinbus, der die Fahrgäste von kleineren örtlichen Straßen zur Hauptstraße bringt. Bis zum Bahnhof Depok Baru kann es 10 bis 20 Minuten dauern, je nachdem, wie viel Verkehr ist, und dann nehme ich schließlich einen Zug. Vom Depok Baru bis zur Station Gondangdia fahre ich 45 Minuten. Von der Station Gondangdia laufe ich etwa zehn Minuten zu Fuß und bin dann endlich im Büro.
Können Sie ein Beispiel dafür nennen, wie Sie bei Ihrer Arbeit gegen den Klimawandel kämpfen?
Ich erzähle wirklich sehr gerne von meiner Arbeit zu Stadtplanung, Gender und soziale Inklusion am ITDP in Indonesien. Ich kann dafür sorgen, dass die Stadtverwaltung bei Mobilitätsfragen die Gender Mainstreaming-Perspektive berücksichtigt, und entsprechende gesetzliche Empfehlungen umsetzen kann. So können wir beispielsweise die physische Integration zwischen der KRL Jabodetabek (Nahverkehrssystem für den Großraum Jakarta) und der MRT Jakarta (U-Bahnsystem von Jakarta) für eine nahtlose Mobilität sicherstellen. Es geht nicht nur darum, die Mobilität zu gewährleisten, sondern auch, die Wege von Personen, insbesondere von Frauen, ins Stadtzentrum nachzuverfolgen. Jakarta setzt, wie viele andere Städte in Indonesien, auf Zonenplanung. Das führt dazu, dass immer mehr Wohngebiete außerhalb des Stadtzentrums entstehen. Dadurch müssen die Menschen vermehrt auf öffentliche Verkehrsmittel zugreifen, was wiederum zu immer höheren Beförderungskosten führt. Die physische und tarifliche Integration, die wir unterstützen, ist eine gute Sache. Ich bin stolz darauf, dass dies Teil meiner Arbeit ist.
Was sind die wichtigsten geschlechtsspezifischen Unterschiede bei öffentlichen Verkehrsmitteln in Jakarta und in den anderen Städten, in denen Sie arbeiten?
Die vom ITDP Indonesien durchgeführten Studien und Untersuchungen haben gezeigt, dass Frauen und Männer sehr unterschiedliche Bewegungsmuster aufweisen. Es ist ein kontinuierlicher Lernprozess, die Unterschiede im Zugang zu, und der Nutzung von öffentlichen Räumen, Infrastrukturen und Verkehrssystemen zu verstehen. Frauen nutzen in ihrem Alltag die öffentlichen Verkehrsmittel zu den Haupt- und Nebenverkehrszeiten. Die Stadtverwaltungen möchten die Busse nur in den Hauptverkehrszeiten betreiben. Wenn die Städte keine sichereren öffentlichen Verkehrsmittel bereitstellen können, schränkt dies die Möglichkeiten von Frauen ein. Darüber hinaus sind für Menschen, die außerhalb des Stadtzentrums wohnen, nachhaltige oder sichere Arbeitsplätze und Ausbildung sehr viel schwerer zugänglich. Es hängt von der Zeit und den Kosten für die öffentlichen Verkehrsmittel ab, inwieweit Menschen, die außerhalb des Stadtzentrums leben, bei der Teilhabe an der Entwicklung benachteiligt werden.
Wie können öffentliche Verkehrsmittel so verändert werden, dass sie für Frauen oder andere marginalisierte Gruppen zugänglicher werden?
Basierend auf unseren Erfahrungen, Diskussionen und unserer Zusammenarbeit mit Frauen und marginalisierten Gruppen ist eine Tarifbindung von entscheidender Bedeutung. Solange die Preisintegration noch nicht umgesetzt ist, müssen gerade marginalisierte Gruppen Opfer bringen, um ins Stadtzentrum zu gelangen. Zum einen müssen sie mehr Zeit und Geld für öffentliche Verkehrsmittel aufbringen, zum anderen legen ihnen die nicht integrierten Verkehrsmittel beschwerliche Wege und Bewegungsmuster auf. Wenn die öffentlichen Verkehrsmittel für marginalisierte Gruppen nicht zugänglich sind, schlägt sich dies auf die ohnehin geringeren Chancen und Möglichkeiten aus, wozu auch erschwingliche Beförderungsmittel zählen. Wenn ich beispielsweise nach 20 Uhr nach Hause fahre, bedeutet das, dass ich in Anbetracht der Sicherheitsprobleme und mangelnden Verfügbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel außerhalb von Jakarta eine andere Beförderungsmöglichkeit wählen muss. Wir müssen auch einen Lösungsansatz für die physische Barriere finden – ein universelles Design, das auf alle öffentlichen Verkehrsstationen angewandt wird. Es gilt, die Zersiedelung mit integrierten Beförderungssystemen abzuschwächen. Zurzeit ist Jakarta die einzige Stadt, die über ein schnelles und zuverlässiges Transportsystem verfügt, verglichen mit anderen umliegenden Städten. Dieser Zustand führt dazu, dass alle, die täglich ins Stadtzentrum von Jakarta pendeln müssen, noch mehr zu kämpfen haben.
Können Sie ein Beispiel für die strukturelle Herausforderung im öffentlichen Verkehr unter dem Gesichtspunkt der Gleichstellung der Geschlechter nennen?
Wenn es um Planung, Datenerfassung, Problemkartierung und ähnliche Dinge geht, sind Frauen meist nicht an den Diskussionen beteiligt. Bei der Stadtplanung werden Frauen während des gesamten Prozesses vernachlässigt. Für eine bessere Infrastruktur und Planung ist die Beteiligung von Frauen von entscheidender Bedeutung, nicht nur bei der Problemkartierung. Wir wollen sie in den Planungs- und Entscheidungsprozess einbeziehen, und sie die Strategien auswählen lassen, die umgesetzt werden sollen. In den meisten unserer Projektphasen war das Geschlechterverhältnis nicht ausgewogen. Es gibt einen dringenden Bedarf nach mehr Teilhabe und direkter Kooperation. Wir sollten auch mehr über die Zuteilung von Haushaltsmitteln sprechen, um Frauen die Möglichkeit zu geben, sich an dem gesamten Prozess zu beteiligen.
Worin besteht der besondere Beitrag von Frauen und Mädchen bei der Mobilitätswende?
Im Rahmen eines unserer IKI-Projekte im Jahr 2018 haben wir begonnen, mit der Kampung Kotas, einer vorstädtischen Siedlung im Stadtzentrum, in Jakarta zusammenzuarbeiten. Die Frauen in diesem Wohngebiet haben unter Beweis gestellt, dass sie in der Lage sind, den Transformationsprozess anzuführen. So hoben sie unter anderem deutlich hervor, dass es einen dringenden Bedarf an Einrichtungen für Fußgängerinnen und Fußgänger sowie für die Schaffung von öffentlichen Räumen gibt. Das ist genau die Art von Transformation in der Stadtentwicklung und Mobilität, die diese Frauen initiieren und leiten können. Davon ausgehend, glaube ich, dass – wenn wir sie noch stärker einbeziehen, ihnen die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen und mit ihnen mehr über den Wandel sprechen – sie sich zunächst um ihre Bedürfnisse in ihrem Viertel und später auch um die Probleme der Stadt kümmern können.
Worin besteht der Beitrag von Männern?
Bei allen Aktivitäten haben wir auch die Männer eingeladen, sich zu beteiligen. Ihre Rolle besteht darin, zuzuhören, zu verstehen und die Pläne umzusetzen. In der Regel bemühen wir uns bei jedem Forum, ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis von 50:50 zu erreichen. Wir führen offene Diskussionen über die Gründe für Nachteile oder Chancen, die mit bestimmten Themen, Aktivitäten und/oder Richtlinien verbunden sein könnten. Das ist gut, denn so erreichen wir, dass sie sich beteiligen und eine nachhaltige Transformation unterstützen. Sie können auch die Bedürfnisse ihrer Frauen und Kinder verdeutlichen.
Wie können wir im Rahmen von IKI-Projekten Frauen und marginalisierte Menschen vor dem Hintergrund anhaltender Geschlechterungleichheit stärken?
Was wir bislang aus IKI-Projekten gelernt haben, ist zu verstehen, wie wir Vertretern der Stadtverwaltung helfen können. Wir haben die Chance, Tools und Methoden zu entwickeln, um Frauen, Mädchen und andere gefährdete Gruppen einzubinden. Mithilfe dieser Tools und Methoden lernen sie, wie sie Daten für bestimmte Themen erheben, die im Forum diskutiert werden sollen und wie sie der Stadtverwaltung ihre Erkenntnisse oder Diskussionspunkte vermitteln können. Bei allen IKI-Projekten versuchen wir, diese Gruppen näher mit Vertretern der Verwaltung zusammenzubringen, damit sie die Chance haben, einen Dialog oder eine Diskussion zu führen. Wir glauben, dass Frauengruppen in hohem Maße davon profitieren, wenn sie die Tools, Methoden und Prozesse verstehen, denn so müssen sie sich nicht mehr darauf verlassen, dass andere über oder für ihre Gemeinschaften und Mobilitätsmöglichkeiten sprechen. Es ist ein guter Weg, sie direkt zu stärken.
[Das Interview führte Kim Naser, Projektmanagerin der Internationale Klimaschutz Initiative bei der Zukunft-Umwelt-Gesellschaft gGmbh]
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