05.11.2022

„Es müssen eine Reihe von Hindernissen überwunden werden“

Tagebau an Waldgrenze

Mit dem Ende 2021 gegründeten Fonds „Nature 4 Health“ unterstützt die IKI die Prävention möglicher Pandemien. Doreen Robinson, Leiterin des Arbeitsbereichs biologische Vielfalt und Boden im Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) im Interview über konkrete Maßnahmen und Ziele.

Eines der Ziele des One-Health-Konzepts ist es, neue Pandemien aufgrund von Tieren übertragener Infektionskrankheiten, den sogenannten Zoonosen, zu verhindern. Können Sie diesen Ansatz kurz erläutern?

One Health ist ein ganzheitlicher, auf die Gesundheit von Menschen, Tieren und Umwelt ausgerichteter Ansatz. Er ist naturgemäß multidisziplinär und systemorientiert, denn gesund zu sein bedeutet viel mehr, als nicht krank zu sein. Der Ansatz bindet alle Gesellschaftsschichten ein und konzentriert sich auf den Schutz der Gesundheit aller Lebewesen, einschließlich des Menschen, sowie auf den Schutz von Natur und Ökosystemen, die dringend benötigte Lebensgrundlagen wie Nahrungsmittel, Wasser, Luft und andere Leistungen bereitstellen. In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass der Mensch durch seine zunehmenden Eingriffe in die Natur und deren Schädigung Einflussfaktoren verändert, die zu Gesundheitsgefahren wie der Verbreitung von Zoonosen beitragen.

Was ist der wichtigste Aspekt des One-Health-Konzepts?

Der wichtigste Aspekt von One Health ist die Erkenntnis, dass die Gesundheit von Menschen, Tieren und Umwelt voneinander abhängig ist. Eines lässt sich nicht ohne die anderen erreichen. Eine Investition in Natur und Ökosysteme ist eine Investition in das Wohl der Menschheit. Erfolgreiche gesellschaftliche Reaktionen auf die zunehmenden Gesundheitsgefahren müssen alle Gesundheitsaspekte berücksichtigen, wenn unsere Reaktionen und vor allem unsere Präventionsmaßnahmen zum Ziel führen sollen.

Warum ist die Berücksichtigung von biologischer Vielfalt und Klimawandel bei diesem Ansatz besonders wichtig? Hat sich dies bei der Umsetzung von One Health durchgesetzt – und wenn ja, warum?

Die biologische Vielfalt ist die Grundlage allen Lebens auf der Erde. Sie sorgt für die Nahrungsmittel, Arzneimittel und Ökosystemleistungen, die für saubere Luft, sauberes Wasser und saubere Böden erforderlich sind. Überliefertes und indigenes Wissen von Bevölkerungsgruppen, die mit der biologischen Vielfalt und der Natur im Einklang leben, liefern nach wie vor natürliche Lösungen für ein ganzheitliches Gesundheitskonzept. Das weltweite Wirken des Menschen treibt jedoch das Verschwinden von Arten und die Zerstörung der Ökosysteme voran, und all dies wird durch den Klimawandel noch verschärft. Gemeinsam drohen die gefährlichen Tendenzen zum Verlust von biologischer Vielfalt und zum Klimawandel die Gesundheit und das Wohlergehen der Menschen zu schädigen, da sie zur Zunahme von Extremereignissen und Naturkatastrophen wie Dürren, Überschwemmungen, Waldbränden und Hitzewellen führen. Dadurch kommt es verstärkt zu Krankheiten bei Mensch und Tier, zu Millionen von Todesfällen pro Jahr aufgrund von Umweltverschmutzung und hygienisch bedenklichem Wasser, die zum Auftreten von und zur Verbreitung neuartiger von Tieren übertragener Infektionskrankheiten beitragen. In der One-Health-Gemeinschaft setzt sich zunehmend die Einsicht durch, dass diese umweltbezogenen Gesundheitsaspekte in Angriff genommen werden müssen. Die weltweite Pandemie hat ihren Teil dazu beigetragen, Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger sowie Personen in Führungspositionen für das Problem zu sensibilisieren. Interdisziplinäre wissenschaftliche und systemorientierte Gesundheitsansätze, unter anderem die Unterstützung des Gremiums hochrangiger One-Health-Sachverständiger unter gemeinsamer Leitung der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO), der Weltorganisation für Tiergesundheit (WOAH), des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) durch Deutschland und anderer Länder, tragen ebenfalls zu einem besseren Verständnis der umweltbezogenen Gesundheitsaspekte bei.

Fledermaus

Welche Ziele verfolgt der Fonds „Nature 4 Health“?

Der Fonds „Nature for Health“ (N4H) strebt die Verhinderung zukünftiger Pandemien durch die Förderung der Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt an. Über einen Zeitraum von acht Jahren wird N4H breitenwirksam auf globaler, regionaler, nationaler und subnationaler Ebene präventive und sektorübergreifende One-Health-Konzepte etablieren. In Zusammenarbeit mit politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern, Sachverständigen und anderen Interessengruppen wird N4H Erkenntnisse über die Zusammenhänge zwischen biologischer Vielfalt, Klima und Gesundheit fördern, gewinnen und verbreiten, ganzheitliche und aufeinander abgestimmte Maßnahmen und Strategien entwickeln und Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger sowie andere relevante Akteurinnen und Akteure durch den Aufbau von Ressourcen und Kompetenzen, den Austausch von Wissen und die Schaffung von Institutionen zur Verhinderung zukünftiger Pandemien und zur Verbesserung der Gesundheit des Planeten unterstützen.

Wie sollen diese Ziele erreicht werden?

UNEP und seine Partnerinnen und Partner werden ihre multidisziplinären Fähigkeiten bündeln, um One Health in einer dem jeweiligen Land angemessenen Weise umzusetzen. Mit integrativen nationalen und regionalen Analyse- und Konsultationsverfahren werden die gegenwärtigen Aktivitäten rund um Natur, Klimawandel und Gesundheit bewertet, um bedarfsorientierte Strategien abzuleiten. Wir werden in Ländern und Regionen mit hohen Risiken für die biologische Vielfalt und das Übergreifen von Zoonosen tätig werden, um gemeinsam multidisziplinäre Erkenntnisse über die Zusammenhänge zwischen Natur, Klimawandel und Gesundheit als Grundlage für die Entscheidungsfindung zu gewinnen. Darüber hinaus verbessern wir präventive One-Health-Maßnahmen und -Strategien, in dem wir uns mit den Zusammenhängen zwischen Natur, Klimawandel und Gesundheit auseinandersetzen und den Aufbau von Ressourcen und Kompetenzen, das Management von Wissen, Lobbyarbeit und Aufklärung im Hinblick auf diese Zusammenhänge übernehmen. Ein weiteres Ziel ist es, im Rahmen von One Health gemeinsame, integrative und dauerhafte Kooperations- und Führungsstrukturen zu schaffen, die aufeinander abgestimmte Präventionsmaßnahmen und -strategien ermöglichen.

Wie wird die Arbeit des Fonds konkret aussehen?

Der Fonds wird Länder bei der praktischen Umsetzung des One-Health-Konzepts vor Ort in einigen der am stärksten gefährdeten Länder unterstützen. Ein wesentlicher Aspekt ihrer Tätigkeit besteht darin, Interessengruppen aus verschiedenen Sektoren und aus dem gesamten gesellschaftlichen Spektrum an einen Tisch zu bringen, um Verständnis für die Herausforderungen und Chancen von One Health zu vermitteln. Dabei stützen wir uns auf wissenschaftliche Fakten, unter anderem auf die Einschätzung von Sachverständigen und überliefertes Wissen. Dies erfordert die Überwindung einer Reihe von Hindernissen – angefangen bei institutionellen und finanziellen Hindernissen, die eine Zusammenarbeit von Expertinnen und Experten aus den Bereichen Medizin, Tiermedizin und Umweltwissenschaften verhindern, über wissenschaftliche Hindernisse, die den Austausch von Erkenntnissen erschweren, und einem eingeschränkten sektorübergreifenden Verständnis der Zusammenhänge zwischen Natur und Gesundheit bis hin zu lückenhaften gesetzlichen und politischen Rahmenbedingungen zur Schaffung von Anreizen für ganzheitliche Gesundheitskonzepte.

Ein Aspekt ihrer Arbeit ist die Politikberatung. Welche konkreten Maßnahmen kann all dies umfassen?

Für wirksame One-Health-Ansätze ist die gemeinsame Erarbeitung und Berücksichtigung bestimmter fachlicher, kultureller und institutioneller Aspekte von Risiken und Chancen unabdingbar. Zu den kritischen Bereichen, in denen politische Eingriffe erforderlich sind, um Umweltrisiken zu mindern, die eine Bedrohung durch Pandemien verschärfen, zählen die wirksame, nachhaltige Regulierung der Land- und Fleischwirtschaft, eine bessere Regulierung und Überwachung der nachhaltigen Nutzung von biologischer Vielfalt, der Schutz von Ökosystemen und der durch sie erbrachten Leistungen sowie Maßnahmen zur Sicherung der ökologischen Vernetzung angesichts der mit dem Klimawandel verbundenen Verlagerung agrarökologischer Zonen. 

Die konkreten Maßnahmen zur Minderung von Risiken und zur Prävention von Pandemien sollen auch auf lokaler Ebene umgesetzt werden. Können Sie mögliche Beispiele hierfür nennen?

Es können viele konkrete Maßnahmen ergriffen werden. Zum Beispiel tragen eine verbesserte Krankheitsüberwachung und aufeinander abgestimmte risikobezogene Maßnahmen auf lokaler Ebene dazu bei, Krankheiten zu erkennen und ihre Ausbreitung zu verhindern. Die Bevölkerung vor Ort und lokale Verantwortliche verfügen oft über äußerst wertvolle Informationen, vor allem in entlegenen Naturräumen, und wir müssen diese mit den übrigen Gesundheitsinfrastruktureinrichtungen vernetzen. Die Renaturierung von Wäldern, Feuchtgebieten und allen sonstigen Ökosystemen bringt Vorteile für die Gesundheit von Menschen, Tieren und Umwelt mit sich.

In welchen Ländern oder Regionen wären solche Maßnahmen am wirkungsvollsten und warum?

One Health sollte in jedem Land und in jeder Region umgesetzt werden. Die aktuelle Pandemie hat gezeigt, in welchem Maße wir alle miteinander vernetzt sind. Bei Zoonosen, die über das Potenzial verfügen, eine Pandemie auszulösen, kommt es vor allem auf die schwächsten Glieder in der Kette an. Daher sind Investitionen in Schwellen- und Entwicklungsländern, in denen ein hohes Risiko für das Auftreten von Zoonosen besteht, besonders wichtig.

Wie wird der Fonds die Umsetzung des Weltweiten Aktionsplans für biologische Vielfalt und Gesundheit unterstützen, der von der Biodiversitätskonvention beschlossen werden soll?

Die Vertragsparteien der Biodiversitätskonvention haben den Zusammenhang zwischen biologischer Vielfalt und Gesundheit schon vor vielen Jahren erkannt und fordern seitdem systemorientierte Ansätze. Zu Beginn dieses Jahres mahnten die Vertragsparteien bei Tagungen zur Konvention in Genf ausdrücklich Fortschritte bei der Fertigstellung des Weltweiten Aktionsplans für biologische Vielfalt und Gesundheit durch die 16. Vertragsparteienkonferenz an. Das Sekretariat der Konvention ist ein wichtiger Partner in des Fonds und seine Arbeit in den Ländern wird in die endgültige Entwicklung und Umsetzung des Aktionsplans einfließen.

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Kontakt

IKI Office
Zukunft – Umwelt – Gesellschaft (ZUG) gGmbH
Stresemannstraße 69-71

10963 Berlin

iki-office@z-u-g.org

Die Interviewpartnerin

Doreen Robinson

Doreen Robinson ist Leiterin des Arbeitsbereichs biologische Vielfalt und Boden im Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP)

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