Costa Ricas (Klima)Politik der Taten
In Costa Rica sorgen Tropenstürme regelmäßig für Schäden an der Infrastruktur. Die IKI unterstützt das Land dabei, klimaresilienter zu werden.
...ein Morgen im November 2020. Gerade hat die Nationale Notfallkommission Costa Ricas (CNE) eine neue Karte mit den Stadtteilen der Hauptstadt San José im Internet veröffentlicht. Die Corona-Karte ähnelt einem orange-gelben Mosaik. Für Iván Delgado, Nazareth Rojas, Vladimir Naranjo und María Ramírez ist dies keine erfreuliche Nachricht, aber mittlerweile Normalität, denn: Die meisten der orangen Stadtteile markieren ihre Wohnorte und Büros. Die vier Fachleute aus unterschiedlichen Ministerien und Behörden des Landes werden sich nicht persönlich treffen können. Stattdessen werden sie von Federico Corrales, Mitarbeiter der GIZ in Costa Rica, vom Bildschirm aus begrüßt. Nach und nach erscheinen alle Kolleginnen und Kollegen in kleinen Bildkacheln auf dem Bildschirm, begrüßen sich, witzeln über die echten oder falschen Bildschirmhintergründe. Doch dann wird es ernst, denn die „Grupo Herramienta Tica“, wörtlich die Gruppe des costa-rikanischen Werkzeugs, befasst sich mit einer Methode zur Analyse von Klimarisiken.
Extremwetterereignisse werden häufiger und heftiger
Als sich die fünf Fachleute 2017 und 2018 die ersten Male trafen, existierte die Arbeitsgruppe noch nicht. Die Corona-Pandemie war noch in weiter Ferne und die Medien des Landes berichteten über die verheerenden Folgen des Hurricane Otto, später über Hurricane Nate. Seit Beginn der Wetteraufzeichnungen war es das erste Mal, dass die Stürme nicht nur die Küste Costa Ricas erreichten, sondern das zentralamerikanische Land vollständig durchquerten und dabei großen Schaden anrichteten.
Obwohl „Nate“ nur wenige Stunden andauerte, war die Zerstörung groß, und die Schäden wurden auf fast 600 Millionen US-Dollar geschätzt – etwa ein Prozent des BIP Costa Ricas! Schwer betroffen war die öffentliche Infrastruktur, insbesondere Verkehrswege, Straßen und Brücken. Arbeitsplätze gingen verloren und Einkommen, auch im informellen Sektor, brachen ein. Unter den Folgen litten vor allem ärmere, ländliche Bevölkerungsgruppen.
Stürme erhöhen die Dringlichkeit für eine nationale Anpassungspolitik
Zur gleichen Zeit, im Jahr 2018, arbeitete das Umweltministerium in Costa Rica mit Hochdruck an der abschließenden Formulierung der Nationalen Anpassungspolitik (NAP). Auch durch die Sturmereignisse rückte die Frage nach Anpassung an den Klimawandel wieder stärker in den Vordergrund. Nach der gefeierten internationalen Vereinbarung auf der Weltklimakonferenz in Paris 2015, ging Costa Rica mit großen Schritten beim Thema Emissionsminderung voran. Das Land wurde weltweit nicht nur durch seine Taten bekannt - 99 Prozent der Stromerzeugung stammen aus regenerativen Quellen und verursachen keine Emissionen - sondern auch als Stimme und Anwalt für die Klimaschutzziele.
Als Beauftragter für Anpassung an den Klimawandel im Direktorat für Klimawandel war Ivan Delgado an der Formulierung des NAP beteiligt. Gleichzeitig war er in das Projekt „Verbesserte Climate Services für Infrastrukturinvestitionen (CSI)“, das über die Internationale Klimaschutzinitiative (IKI) finanziert wird, involviert. Bereits 2017 wählte das CSI-Vorhaben – gemeinsam mit staatlichen und privaten Akteuren - die „La Guardia-Brücke“ in der Provinz Guanacaste, im Nordwesten des Landes aus, um eine Klimarisikoanalyse durchzuführen. Schon vor den beiden großen Stürmen war die Brücke immer wieder durch Hochwasser beschädigt, der Abriss drohte.
Interdisziplinäre Expertengruppe arbeitet an Klimarisikoanalyse
Im Rahmen der Risikoanalyse der Brücke traf Delgado auf die prägenden Mitglieder der späteren, interdisziplinären „Herramienta Tica“ Gruppe: Nazareth Rojas vom Nationalen Meteorologischen Dienst, María Ramirez, Abteilungsleiterin im Ministerium für Transport und Vladimir Naranjo, Abteilungsleiter des costa-ricanischen Ingenieursverbandes.
Zusammen brachten sie ihre unterschiedlichen Expertisen in das IKI-Vorhaben ein und durchliefen verschiedene Trainings. Eines davon war das kanadische PIEVC Protokoll, eine Methode zur Analyse von Klimarisiken bei öffentlicher Infrastruktur, die in Kanada in mehreren überarbeiteten Versionen seit über 10 Jahren eingesetzt wird und die moderierte Zusammenarbeit zwischen Ingenieuren und Klimawissenschaftlern besonders berücksichtigt.
Auf Basis des moderierten Prozesses zwischen costa-rikanischem Wetterdienst und Brückenbetreibern wurden dann für die Risikoanalyse der Brücke beispielsweise nur solche Daten zu vergangenen Extremwetterereignissen und Zukunftsprojektionen genutzt, die einen negativen Einfluss auf Komponenten der Infrastruktur hatten - oder in Zukunft haben würden. Ermittelt wurden die sogenannten Schwellenwerte verschiedener Infrastrukturkomponenten. Dazu gehörten die maximale Hitzebeständigkeit der Fahrbahndecke, die maximalen Windgeschwindigkeiten, denen die Brückenpfeiler standhalten, und die Starkniederschläge, die zu einer Überflutung der Brücke führen.
Die auf die Infrastruktur abgestimmten Klimadaten konnten Aufschluss über die Risiken der Vergangenheit, Gegenwart und insbesondere der Zukunft geben. Dieser interdisziplinäre Prozess war Anlass für Ivan Delgado, Formulierungen zum sogenannten „Climate Proofing“, also dem Schutz von Infrastruktur vor den Folgen des Klimawandels, in die abschließende Formulierung der Anpassungspolitik des Landes einzubringen.
Druck vom Rechnungshof: Planung resilienter Infrastruktur notwendig
Vor Veröffentlichung der Abschlussberichte zur „La Guardia Brücke“ wurden weitere Vertreter von nationalen Institutionen und aus dem akademischen Bereich eingeladen, über die Ergebnisse, die Methoden und den neuen interdisziplinären Ansatz zu beraten. Eine zentrale Rolle spielte die „Contraloría General de la República“, der nationale Rechnungshof. Der Rechnungshof ergriff schon früh die Initiative für das Thema und monierte die hohen Schadensfälle, Ausfall- und Wiederaufbaukosten der Brücke - und die gravierenden Folgen für die Volkswirtschaft.
Ein Ergebnis der Klimarisikoanalyse war, die Brücke noch nicht abzureißen. Neben einer Erhöhung der Brücke sollen 2021 besonders betroffene Komponenten ausgetauscht oder renoviert werden. Die hohen Kosten eines Neubaus werden somit zunächst vermieden und um etwa 30 Jahre aufgeschoben.
Anpassung der Risikoanalyse an die Bedürfnisse Costa Ricas
Während nun weitere Klimarisikoanalysen für bestehende Infrastrukturen geplant wurden, richtete die Arbeitsgruppe ihren Fokus auf die Frage, wie die kanadische PIEVC Methodik der Risikoanalyse an die Bedürfnisse Costa Ricas angepasst werden konnte. Ziel war es, die Methoden für bestehende und neu zu planende Infrastrukturen weiterzuentwickeln. Und: die Methodik sollte in Zukunft bei Planungsprozessen für Infrastruktur verpflichtend werden.
Gleichzeitig forderte der Rechnungshof von der Regierung, das Thema klimaresiliente Infrastruktur zur Chefsache zu machen – mit Erfolg: Staatspräsident Alvarado Quesada lud das Umwelt- und das Transportministerium, den Meteorologischen Dienst und die Nationale Notfallkommission ein, ein präsidentielles Dekret zum Thema klimaresiliente Infrastruktur mitzugestalten und vorzubereiten.
Etappensiege für IKI-Projekt
Nach fast einem Jahr der Beratungen hat der Staatspräsident im Juni 2020 das Dekret über klimaresiliente, öffentliche Infrastruktur unterzeichnet. Das IKI-Vorhaben hat damit einige Etappenziele erreicht: Die Umsetzung der Nationalen Anpassungspolitik konnte im Bereich klimaresiliente Infrastruktur erfolgreich erprobt werden. Gleichzeitig gelang es dem Umweltministerium enge Kooperationsstrukturen, zum Beispiel mit dem Transportministerium, aufzubauen. Zudem wurden mit dem Nationalen Meteorologischen Dienst für das Projekt wichtige Klimadienste entwickelt, die das Kerngeschäft zukünftig erweitern können.
Das Beispiel veranschaulicht das Wechselspiel zwischen politischer Rahmenformulierung und pilotierter Umsetzung. Es dokumentiert nicht nur die große Bereitschaft für Veränderungen in Costa Rica, sondern zeigt auch, dass die Kohärenz zwischen Politikformulierung und Umsetzung ein Prozess der iterativen Schleifen ist. Um diesen Prozess weiter erfolgreich voranzutreiben trifft sich, wie alle zwei Wochen, auch an diesem Morgen im November 2020 wieder die „Grupo Herramienta Tica“, die an der Institutionalisierung des costa-rikanischen Methodenwerkzeugs arbeitet, um das Dekret des Präsidenten umzusetzen. Und um Klimarisikoanalysen zu einem festen Bestandteil von Infrastrukturprojekten zu machen. Neben Corona wird das virtuelle Treffen später von einer weiteren Warnung überschattet. Hurricane Eta ist auf dem Weg nach Costa Rica.
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Kontakt
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Lesen Sie mehr zum Projekt
Interview mit Andrea Meza Murillo, Umweltministerin Costa Rica
Interaktive Übersicht zum Projekt "Climate Services for Infrastructure Investments"